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Montag 15. Juli 2013


Einziehung des Computers bei Besitz von Kinderpornographie

Während eines Strafverteidigerstammtisches vor fast zwei Jahren sprach mich ein Kollege auf eine damals neue Entscheidung des Bundesgerichtshofes an, wonach Computer bei Besitz von Kinderpornographie nicht mehr eingezogen werden können und sich die Einziehung nur auf die Datenträger beschränken müssen. Am Stammtisch, ohne die Möglichkeit der Recherche, sagte mir mein Judiz, dass dies kaum sein könne.

Also recherchierte ich sofort und fand zwei entsprechende Entscheidungen des Bundesgerichtshofes, den Beschluss BGH 4 StR 657/11 vom 08.02.2012 und den weiteren BGH 4 StR 612/11 vom 11.01.2012.

In den Entscheidungen stellte der BGH klar, dass sich die Einziehung nach § 184 b Abs. 6 S. 2 StGB nur auf das Speichermedium, wie eine Festplatte, bezieht. Die Einziehung des Computers als Tatwerkzeug müsse nach § 74 Abs. 1 StGB geprüft werden. Hier gebiete die Verhältnismäßigkeit auch die Prüfung, ob nicht mildere Maßnahmen in Betracht kommen würden.

In beiden Fällen war die Kinderpornographie auf den Computern eher von untergeordneter Bedeutung, so dass in den meisten Praxisfällen weiterhin davon auszugehen ist, dass die Justiz bei dem Besitz einigen Hundert, bzw. Tausenden von Bildern die Einbeziehung des Computers als Tatwerkzeug regelmäßig bejahen wird. Dass man bei wenigen Bildern die Verhältnismäßigkeit nicht aus dem Auge verlieren sollte, ist keine wirklich neue Regel, abgesehen für die beiden Landgerichte der Vorinstanz.

Im Rahmen des Aushandelns von Strafbefehlen oder Einstellungen mit Auflage wird die Frage der Einziehung immer mit behandelt und sollte nicht zum Scheitern der Einigung führen. Wichtiger ist meiner Meinung nach, dass man dafür sorgt, dass die Polizei wenn möglich nicht inkriminierte Geschäftsdaten und wichtige Privatdaten auf einem zweiten Datenträger sichert und dem Beschuldigten überlässt. Wenn auf diese Weise der Verlust von wichtigen Daten verhindert wird, ist der Verlust des Originaldatenträgers eher zu verschmerzen.

Im Ergebnis ist festzustellen, dass Computer auch weiterhin eingezogen werden können und sich die Einziehung nicht nur auf die Datenträger beschränkt. Die beiden Beschlüsse des Bundesgerichtshof stellen die gesetzliche Regelung klar, zeigen dass es sich die unteren Instanzen nicht allzu leicht machen dürfen, bedeuten in der praktischen Anwendung aber keine völlige Revolution.


Samstag 15. Juni 2013


Kinderpornographie / Jugendpornographie – Besitz und Verbreitung

Bei § 184b StGB handelt sich um einen schlecht gemachten Paragraphen, der den eigentlichen Grundtatbestand des Besitzes im Absatz IV aufführt und die Qualifikationen wie die Verbreitung im ersten Absatz. § 184c StGB orientiert sich an §184b StGB, so dass ich unten im Erklärungsteil auf eine gesonderte Darstellung zur Strafbarkeit von Jugendpornographie verzichte.

§ 184b Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Schriften

(1) Wer pornographische Schriften (§ 11 Abs. 3), die sexuelle Handlungen von, an oder vor Kindern (§ 176 Abs. 1) zum Gegenstand haben (kinderpornographische Schriften),

1. verbreitet,

2. öffentlich ausstellt, anschlägt, vorführt oder sonst zugänglich macht oder

3. herstellt, bezieht, liefert, vorrätig hält, anbietet, ankündigt, anpreist, einzuführen oder auszuführen unternimmt, um sie oder aus ihnen gewonnene Stücke im Sinne der Nummer 1 oder Nummer 2 zu verwenden oder einem anderen eine solche Verwendung zu ermöglichen,

wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer es unternimmt, einem anderen den Besitz von kinderpornographischen Schriften zu verschaffen, die ein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen wiedergeben.

(3) In den Fällen des Absatzes 1 oder des Absatzes 2 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren zu erkennen, wenn der Täter gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande handelt, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat, und die kinderpornographischen Schriften ein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen wiedergeben.

(4) Wer es unternimmt, sich den Besitz von kinderpornographischen Schriften zu verschaffen, die ein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen wiedergeben, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Ebenso wird bestraft, wer die in Satz 1 bezeichneten Schriften besitzt.

(5) Die Absätze 2 und 4 gelten nicht für Handlungen, die ausschließlich der Erfüllung rechtmäßiger dienstlicher oder beruflicher Pflichten dienen.

(6) In den Fällen des Absatzes 3 ist § 73d anzuwenden. Gegenstände, auf die sich eine Straftat nach Absatz 2 oder Absatz 4 bezieht, werden eingezogen. § 74a ist anzuwenden.

§ 184c Verbreitung, Erwerb und Besitz jugendpornographischer Schriften

(1) Wer pornographische Schriften (§ 11 Abs. 3), die sexuelle Handlungen von, an oder vor Personen von vierzehn bis achtzehn Jahren zum Gegenstand haben (jugendpornographische Schriften),

1. verbreitet,

2. öffentlich ausstellt, anschlägt, vorführt oder sonst zugänglich macht oder

3. herstellt, bezieht, liefert, vorrätig hält, anbietet, ankündigt, anpreist, einzuführen oder auszuführen unternimmt, um sie oder aus ihnen gewonnene Stücke im Sinne der Nummer 1 oder Nummer 2 zu verwenden oder einem anderen eine solche Verwendung zu ermöglichen,

wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer es unternimmt, einem anderen den Besitz von jugendpornographischen Schriften zu verschaffen, die ein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen wiedergeben.

(3) In den Fällen des Absatzes 1 oder des Absatzes 2 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen, wenn der Täter gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande handelt, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat, und die jugendpornographischen Schriften ein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen wiedergeben.

(4) Wer es unternimmt, sich den Besitz von jugendpornographischen Schriften zu verschaffen, die ein tatsächliches Geschehen wiedergeben, oder wer solche Schriften besitzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. Satz 1 ist nicht anzuwenden auf Handlungen von Personen in Bezug auf solche jugendpornographischen Schriften, die sie im Alter von unter achtzehn Jahren mit Einwilligung der dargestellten Personen hergestellt haben.

(5) § 184b Abs. 5 und 6 gilt entsprechend.

 

„Wann liegt Besitz von Kinderpornographie vor?“

Nach der heutigen herrschenden Meinung in der Rechtsprechung liegt der Besitz von Kinderpornographie schon vor, wenn die Datei beim Ansehen im Arbeitsspeicher, im Cache des Computer geladen wird, ein Abspeichern auf dem Computer ist also nicht notwendig,  Der Besitz liegt auch noch vor, wenn die Datei auf dem Computer gelöscht wurde, aber noch wiederherstellbar ist. Sollte jemand Kinderpornographie unverlangt per E-Mail zugesandt bekommen, sollte er diese umgehend löschen, da sonst die Gefahr besteht, dass Besitz angenommen werden könnte.

„Wie kommt es zu Ermittlungen? Wie verfährt die Polizei?“

Nach meiner Erfahrungen mit den entsprechenden Mandaten hatte die Polizei Anbieter von Kinderpornographie im Internet gefunden und dann über Monate überwacht. Im Rahmen dieser oft internationalen Operationen wurden IP-Adressen von Nutzern gesammelt und den nationalen Polizeibehörden ermittelt, welche dann die Eigentümer der IP-Adressen ermittelten. Sobald der Anfangsverdacht des Besitzes von Kinderpornographie vorliegt, informiert die Polizei die Staatsanwaltschaft welche beim Ermittlungsrichter einen Durchsuchungsbefehl beantragt. Mit diesem Durchsuchungsbefehl durchsucht die Polizei dann Wohnungen, bzw. Geschäftsräume der Beschuldigten und beschlagnahmt dabei dann Computer, Festplatten und andere Datenträger. Die Beschuldigten erfahren in der Regel erst durch die Durchsuchung, dass gegen sie ermittelt wird. Die Datenträger werden durch die Polizei untersucht, wobei zur Beschleunigung oft auch Programme wie BKA Hash, bzw. die Fortentwicklung Perkeo eingesetzt werden. Diese Programme haben ein Archiv mit Hash-Werten von bekannten kinderpornographischen Bildern und nehmen nun einen schnellen Abgleich mit den Dateien auf dem Datenträger vor. Wer wissen möchte, was Hash-Werte sind, sollte den entsprechenden Artikel auf Wikipedia durchlesen.

„Verhaltenstipps für die Hausdurchsuchung“

Sie können die Durchsuchung nicht vermeiden und schon gar nicht den Polizisten den Zutritt verwehren. Die Prüfung der Rechtmäßigkeit erfolgt immer erst im Nachhinein. Geben Sie Ihre Personalien bekannt, aber äußern Sie sich nicht zur Sache. Und vermeiden Sie einen Fehler, die alle meine Mandanten gemacht haben – unterschreiben Sie auf dem Protokoll nichts und schon gar keine Freiwilligkeitsvermerke. Lassen Sie sich den Durchsuchungsbefehl geben und lassen Sie sich die Aktenzeichen, polizeilichen Vorgangsnummern notieren. Die richtigen Aktenzeichen erleichtern einem Strafverteidiger in der Anfangsphase eines Mandats erheblich die Arbeit.

„Benötige ich einen Strafverteidiger? Kann ich eine Hauptverhandlung vermeiden?“

Bei diesem Vorwurf ist eine Verteidigung in der Regel anzuraten, da hier bei geschickter Verteidigung oft auch noch ein Strafbefehl oder eine Verfahrenseinstellung möglich ist, so dass sich eine öffentliche Hauptverhandlung verhindern lässt. Eine Einlassung in diesem Verfahren sollte immer mit einem Strafverteidiger abgesprochen werden, der auch persönlich Akteneinsicht nimmt.


Samstag 1. Dezember 2012


Inhaltliche Anforderungen an ein Glaubwürdigkeitsgutachten

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofes 1 StR 618/98 vom 30.07.1999 ist immer noch aktuell, auch wenn sie in der Zwischenzeit einige Ergänzungen und Fortentwicklungen erfahren hat. Sie gibt aber einen grundlegenden Überblick über die methodischen Anforderungen an ein Glaubwürdigkeitsgutachten.

1. Das entscheidende Grundprinzip besteht in der Nullhypothese. Danach soll der Gutachter so lange in seiner Prüfung davon ausgehen, dass eine Aussage unwahr ist, bis diese Hypothese mit den Fakten nicht mehr vereinbar ist. Erst dann kann er von einer wahren Aussage ausgehen. Zur wissenschaftlichen Vorgehensweise gehören die Bildung von Hypothesen und die Prüfung dieser Hypothesen an den Fakten. Im behandelten Fall hatte der Gutachter die Möglichkeit negiert, dass die Zeugin Erinnerungslücken konstruktiv geschlossen haben könnte. Gerade aber eine solche Lückenfüllung gehört zur normalen Vorgehensweise des menschlichen Gehirns.

2.  Der Gutachter soll ausschließlich methodische Mittel anwenden, die dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand entsprechen.

Zu solchen Methoden gehören zum Beispiel nicht die Deutung von Tintenklecksbildern, die Verwendung von Penispuppen und anderen anatomisch korrekten Puppen, die Ausdeutung von Kinderzeichnungen oder das Auspendeln von Ergebnissen.

Im Rahmen einer Inhaltsanalyse soll der Gutachter „die Angaben des Begutachteten unter Heranziehung bestimmter Kriterien (z.B. logische Konsistenz, quantitativer Detailreichtum, raum-zeitliche Verknüpfungen, Schilderung ausgefallener Einzelheiten und psychischer Vorgänge, Entlastung des Beschuldigten, deliktsspezifische Aussageelemente) auf ihre inhaltliche Konsistenz“ prüfen.

Der Bundesgerichtshof fordert eine kritische Überprüfung des gefundenen Ergebnisses im Wege der Konstanz-, der Fehlerquellen- sowie der Kompetenzanalyse. Die Entstehung und Entwicklung der Aussage muss aufgeklärt werden (Aussagegenese), wenn (auch unbewusste) fremdsuggestive Einflüsse in Erwägung zu ziehen sind.

„Mit der Kompetenzanalyse ist zu prüfen, ob die Aussage etwa durch Parallelerlebnisse oder reine Erfindung erklärbar sein könnte. Dazu bedarf es der Beurteilung der persönlichen Kompetenz der aussagenden Person, insbesondere ihrer allgemeinen und sprachlichen intellektuellen Leistungsfähigkeit sowie ihrer Kenntnisse in Bezug auf den Bereich, dem der erhobene Tatvorwurf zuzurechnen ist. Bei Sexualdelikten wird daher grundsätzlich die Durchführung einer Sexualanamnese in Betracht zu ziehen sein. Dies gilt zumindest bei Zeugen, bei denen – etwa aufgrund ihres Alters – entsprechendes Wissen nicht ohne weiteres vorausgesetzt werden kann.“

Die Begutachtung und die erzielten Ergebnisse sollen nachvollziehbar und transparent dargestellt werden. Die diagnostischen Schlussfolgerungen müssen vom Sachverständigen nachvollziehbar aufgezeigt werden, so durch die Benennung und Beschreibung der Anknüpfungs- und Befundtatsachen. Auch der Weg zu den Ergebnissen soll überprüfbar sein.

 

(Zur Frage, wann ein Glaubwürdigkeitsgutachten in Betracht kommt, lesen Sie den Artikel  https://straf-kanzlei.de/glaubwurdigkeitsbegutachtung-bei-sexualdelikten/ .)


Donnerstag 15. November 2012


Glaubwürdigkeitsbegutachtung bei Sexualdelikten

Die Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines Zeugen gehört zu den Kernaufgaben eines Richters. Dabei bewertet er das Erinnerungsvermögen, die Wahrheitsliebe und die Urteilsfähigkeit des Zeugen. Die Vernehmungslehre kennt unter anderem Lügensignale und Realitätskennzeichen, wie die Detailhaftigkeit einer wahren Aussage. Wahre Aussagen sind auch von Emotionen gekennzeichnet, da das menschliche Gehirn Informationen besser speichert, wenn sie mit Emotionen verbunden sind.

Lügensignale sind unter anderem das Fehlen von Details bei einer Aussage, wenn nachgefragt wird. Gleichzeitig setzen Lügner auf eine Vielzahl von unwesentlichen Details, um damit ihr Gegenüber zu beeindrucken. Geschickte Lügner verbinden deshalb eine Lüge mit einer wahren Erinnerung. So wird eine Lüge auf ein traumatisches Erlebnis aus der Vergangenheit gepfropft, um die Lüge mit den wahren Emotionen glaubhafter zu machen. Eine solche Lüge ist für einen Richter schon erheblich schwerer aufzudecken. Die Vernehmungspsychologie bietet dem Richter aber noch genügend andere  Ansatzpunkte wie die Beobachtung einer Vorwegverteidigung beim Zeugen, vielleicht auch unsinnige Gegenangriffe startet und sich demonstrativ über Fragen entrüstet.

Zweifelhaft sind Beobachtungen wie Nervosität, Zittern, Schwitzen, Händereiben, usw., auch wenn diese als Warnsymptome bezeichnet werden. Denn ein Zeuge, der noch nie vor Gericht stand, kann abgrundtief nervös sein, während der geübte berufsmäßige Zeuge und Lügner völlig ruhig erscheint. Bei Zwangsstörungen und anderen psychischen Erkrankungen sollte der Anwalt das Gericht vorab darauf hinweisen, um falsche Eindrücke zu vermeiden. Neben dauernd nickenden Mandanten vertrat ich auch einen Beschuldigten, der wegen einer neurologischen Erkrankung seine Mimik nicht unter Kontrolle hatte und unkontrolliert grinste. Wenn der Richter nun Fragen zu einer Verletzung des Opfers stellte und der Angeklagte dabei grinste, war durch die Vorinformation des Richters klargestellt, dass es sich nicht um eine Unwertäußerung handelte.

In manchen Fallkonstellationen gibt es aber Zweifel an der Sachkunde eines Gerichtes, die Aussagetüchtigkeit und die Glaubhaftigkeit von Zeugen zu beurteilen, so dass hier nach Bundesgerichtshof zwingend ein Glaubwürdigkeitsgutachten eingeholt werden muss. Ich beantrage regelmäßig in Sexualstrafverfahren ein Glaubwürdigkeitsgutachten, wenn der Mandant die Tat bestreitet und das vermeintliche Opfer den einzigen Tatnachweis darstellt.

Als ein besonderes Merkmal sieht die Rechtsprechung eine psychische Erkrankung eines Zeugen an. In einem Fall aus der Praxis riet mir der Aussagepsychologe, dass vor ihm erst einmal Neurologen und Psychiater die Zeugin untersuchen sollten. Nach der Erweiterung meiner Anträge gegenüber der Staatsanwaltschaft stellte diese dann das Verfahren schnell ein. In einem Fall kam es auch auf den Medikamentenkonsum der einzigen Zeugin, die verschiedenste bewusstseinsverändernde Medikamente einnahm. Ich studierte ein Buch zu Nebenwirkungen von Medikamenten und habe dann der Staatsanwaltschaft mitgeteilt, dass Wahnvorstellungen, gesteigerte Aggressivität, zwanghaftes Lügen, verstärkte Träume als Nebenwirkungen vielleicht doch relevant sein könnten. Entsetzt war ich aber, dass die Staatsanwaltschaft selbst vorher sogar über ein offensichtliches Opiat hinweggesehen hatte.

Genaues Lesen der Akte und oft auch weitergehende Erkundigungen decken manchmal  auf, dass Aussagen unter sehr zweifelhaften Umständen zustande gekommen sind. Eine Staatsanwältin in den Wormser Prozessen warf der Verteidigung vor, „Die Verteidigung meint also: Blindwütige Feministinnen wirken auf ahnungslose Kinder ein, bis die von Missbrauch berichten, und skrupellose Staatsanwältinnen übernehmen das …“. Der Ausgang der Wormser Prozesse zeigte, dass die Staatsanwältin das schon recht gut erkannt hat, nur dass es meiner Erfahrung nach oft nicht Skrupellosigkeit bei Polizei und Justiz sind, sondern einseitige Ermittlungen, Engstirnigkeit, Betriebsblindheit, fehlende Fortbildung, Arroganz und die Verbindung von Beamtenkarriere und medienwirksamen Verurteilungen. Einem Traumapsychologen oder einem Psychiater geht es um die Behandlung einer Erkrankung und nicht um die Wahrheitsfindung. Gefährlicher, aber auch heute noch verbreitet, sind „Kindesmissbrauchsaufdecker“ mit ihren Penispuppen, die faktisch Gehirnwäsche betreiben. Nach solchen „Befragungen“ erinnern sich Kinder an Missbrauchshandlungen, auch wenn diese aus faktischen Gründen nie stattgefunden haben können, so befanden sich die Täter in den fraglichen Zeiträumen im Gefängnis, im Ausland, usw. Dass die präparierten Kinder auch noch alle Männer im Umkreis inklusive vernehmender Polizeibeamter, Staatsanwälte und Richter des Missbrauches beschuldigten, wurde von der Justiz ignoriert.

Zeugnisfähigkeit von Kindern wird in der Regel ab drei Jahren angenommen, aber hier kann nie eine starre Grenze angenommen werden. Ein dreijähriger wird sicherlich kein Zeugnis über seine Beobachtungen zu Aktieninsiderhandel abgeben, aber vielleicht zur Farbe eines Autos. Aber jedes Kind hat eine eigene Entwicklung, so dass das eine Kind vielleicht schon mit drei zeugnisfähig ist, dass andere erst mit fünf Jahren. Eine Begutachtung zur Zeugnisfähigkeit von Geistigbehinderten wird auch regelmäßig notwendig sein.

Wenn die Tat lange zurückliegt, leidet immer auch die Erinnerung. Das die Erinnerung im Laufe der Jahre nicht besser wird, dürfte jedem Laien bewusst werden. Bei einer Videovernehmung vor dem Ermittlungsrichter vertrat ich eine Beschuldigte, während das Kind als Zeuge über eine Tat berichten sollte, die schon mehrere Jahre zurücklag. Er konnte sich an nichts erinnern, so dass das Verfahren eingestellt wurde. Dies wäre sonst ein Idealfall für ein Glaubwürdigkeitsgutachten gewesen.

Der Bundesgerichtshof hat in seinem Beschluss vom 11.September 2002, BGH 1 StR 171/02 -, sich mit den Voraussetzungen für die Einholung eines Glaubwürdigkeitsgutachtens beschäftigt.

Ich kann nur empfehlen, sich in jedem Fall des Sexualstrafrechts fachkundige anwaltliche Hilfe zu suchen.

(Zur Frage inhaltlicher Anforderungen an ein Glaubwürdigkeitsgutachten beachten Sie diesen Link, https://straf-kanzlei.de/inhaltliche-anforderungen-an-ein-glaubwurdigkeitsgutachten/ .)

 


Samstag 7. Juli 2012


Gründe für Falschanzeigen im Sexualstrafrecht Nr. 4, 5, 6

Vor einiger Zeit schrieb ich schon einen Artikel über Gründe für Falschaussagen im Sexualstrafrecht. Damals waren es aus gegebenem Anlass die Motive Rache, das Bedürfnis Opfer zu sein und Missverständnisse bei Aussagen von Kindern.

Diesmal stütze ich mich wieder auf auf Fälle meiner Kanzlei und einen Fall eines Kollegen.

Für mich unerwartet wurde ich in mehreren Fällen mit Sympathieanzeigen konfrontiert. Der Hintergrund waren echte, aber auch erfundene Taten einer jeweils anderen Anzeigenerstatterin. In diesen Fällen gab es eine Bekanntmachung im Familien- oder im Bekanntenkreis, wobei dann vermutlich auch die Erfolgsaussichten der Strafanzeigen erörtert wurden. Verwandte und Freundinnen entschlossen sich dann ebenfalls Anzeige gegen den Beschuldigten zu stellen, wobei die Taten diesmal eindeutig erfunden waren. Ziel dieser Anzeigen war es die Strafanzeige der ersten Anzeigenerstatterin zu stützen. Während in einem Teil der Fälle diese Vorgehensweise mit der ersten Anzeigenerstatterin vermutlich abgesprochen war, gab es in dem anderen Teil der Fälle solche Absprachen vermutlich nicht. Hier kann ich aber nur Vermutungen treffen. Vergeblich habe ich bisher auf das Motiv der Trittbrettfahrerin gewartet, die eine Sympathieanzeige vielleicht aufgibt, um vom Opferstatus zu profitieren. Aber dies ist vermutlich nur eine Frage der Zeit.

Sehr schwierig sind die Wahnhaften und Geisteskranken als Anzeigenerstatter. Während mir als Laien in einer Akte schon schnell Zeichen für eine Geisteskrankheit bei der Anzeigenerstatterin auffielen, ignorierten Polizisten diese Anzeichen und ermittelten stur weiter gegen einen Mandanten. Dabei muss man feststellen, dass Polizisten selbst von Geisteskranken oft Sexualstraftaten unterstellt werden, diese werden aber in der Regel nicht einmal zur Anzeige entgegengenommen. Während die Polizei bei ihren Leuten als Beschuldigten diese mit Seidenhandschuhen vor jedem Übel abschirmt, ermitteln sie in anderen Fällen oft sehr einseitig. In solchen Fällen muss man dann die Panzerhandschuhe anziehen, um Polizei und Staatsanwaltschaft klarzumachen, dass man offene Fragen nicht einfach nur deshalb ignorieren darf, weil sie einem nicht in das gewünschte Bild passen. Bevor man sich der Aussage widmen kann, sollte man vielleicht den neurologischen Status der Anzeigenerstatterin untersuchen. Zu dieser Erkenntnis kam die Polizei allein nicht, ebenso wenig auf die Idee einmal in medizinischer Fachliteratur eine Liste von verabreichten Medikamenten auf Nebenwirkungen zu überprüfen. Selbst bei einem Opiat kamen die Beamten nicht auf die Idee, dass dieses vielleicht Nebenwirkungen haben könnte. Die medizinische Fachliteratur listete dann für die Medikamente Wahnvorstellungen, Zwangshandlungen, Aggressionen, Depressionen, unmotivierte Feindseligkeit, übersteigerte Phantasie und vieles mehr auf. Motive aus dem kulturellen und dem persönlichen Bereich, die eine Falschaussage wahrscheinlich erscheinen ließen, wurden ebenso ignoriert und erschütterten mein Vertrauen in die polizeiliche Ermittlungsarbeit vollständig. Erst die Staatsanwaltschaft begriff nach langem Bemühen, dass an den Zweifeln des Verteidigers an der Aussagefähigkeit und Aussagetüchtigkeit der vermeintlich Geschädigten doch etwas dran sein könnte und stellte dann das Verfahren ein. Gerechterweise muss man aber feststellen, dass auch ein Geisteskranker ein Opfer einer Sexualstraftat werden kann und nach wissenschaftlichen Befragungen gibt es gerade in entsprechenden Einrichtungen viele solcher Taten, weniger aber durch Personal, sondern hauptsächlich in Form von Übergriffen durch Mitpatienten. Hier wird aber viel totgeschwiegen, um den Ruf der Einrichtungen nicht zu beschädigen und um Fragen nach Aufsichtspflichten der Personals zu vermeiden.

Der Fall eines Kollegen war mir neu, nach Umfragen unter Kollegen kommt er aber nicht selten vor. Eine junge Frau aus einem ausländischen Kulturkreis war mit ihrem Freund durchgebrannt, nachdem die Familie die Beziehung abgelehnt hatte. Zurückgekehrt in den Familienkreis konnte sie ihre eigene Verfehlung aber nicht zugeben und sprach dann über eine Entführung und Vergewaltigung. Vielfach werden solche Fälle an der deutschen Justiz vorbei durch private Schlichter geklärt, aber diesmal kam der Fall vor die Justiz und der Kollege konnte nur mit Mühe die Unschuld seines Mandanten beweisen und einen Freispruch erzielen.

In jeder der Fallkonstellationen wären die Beschuldigten ohne die Unterstützung des Anwaltes auf der Strecke geblieben. Gerade bei den oft einseitigen Ermittlungen im Sexualstrafrecht durch die Polizei droht oft der Verlust von entlastenden Beweismitteln. Bei Sexualdelikten kann man daher nur raten, so schnell wie möglich einen Strafverteidiger einzuschalten.


Dienstag 15. Mai 2012


Gründe für Falschanzeigen bei Sexualdelikten, Nr. 1-3

Nicht selten erlebt man bei Anzeigen wegen Sexualstraftaten, dass sich diese als unbegründet herausstellen. Die Gründe dafür sind vielfältig, sie beruhen teilweise auf Irrtümern und Missverständnissen, aber vielfach auch auf krimineller Energie.

Nachdem innerhalb eines Monats gleich drei Verfahren meiner Kanzlei schon im Ermittlungsverfahren eingestellt wurden, will ich einmal einige Gründe aufzeigen.

Wegen der gesteigerten Sensibilität in Hinblick auf Kindesmissbrauch kommt es immer öfter wegen Missverständnissen zu Anzeigen. Eltern konstruieren aus Äußerungen ihres Kindes einen Fall einer Straftat. Leider sind solche Konstellationen nicht selten und gerade Erzieherinnen und Erzieher in Kindergärten bekommen die negative Begleiterscheinung von zunehmender Sensibilisierung zu spüren. In solchen Verfahren besteht immer die Gefahr, dass im Rahmen von unprofessionellen Zeugenbefragungen bei Psychologen und der Polizei sich Falschaussagen verfestigen oder gerade erst konstruiert werden. Leider sind wenige Psychologen und noch weniger Polizisten mit Aussagepsychologie und Fehlerquellen wie Fremd- und Selbstsuggestion oder Falscherinnerungen vertraut.

Immer noch kommt es auch zu Anzeigen aus Rache. Meist liegen die Motive im persönlichen Bereich, in manchen Fällen verbinden sich diese aber auch mit taktischen Erwägungen in familienrechtlichen Streitigkeiten. Seit Familienrichter in den letzten Jahren solche Verfahren sofort an die Staatsanwaltschaft weiterlesen, werden heute weniger leichtfertig Vorwürfe in Sorgerechtsverfahren erhoben.

Geltungsbedürfnis und die gewünschte Anerkennung als Opfer sind ein weiteres Motiv. Gerade bei Personen mit gestörten, verminderten Selbstbewusstsein stellte „Opfer zu sein“ eine große Verlockung dar. Gerade bei solchen Verfahren besteht immer auch die Gefahr, dass sich die vermeintlich „Geschädigten“ selbst in einem Maße überzeugen oder im Rahmen psychologischer Behandlungen überzeugt werden, dass sie sich an ihre falsche Geschichte erinnern. Diese „false memories“ lassen sich nicht in einer Vernehmung mit der üblichen Methode von Realitätskennzeichen und Lügenmerkmalen überprüfen. Hier sind erfahrene Aussagepsychologen gefragt, welche das gesamte Verfahren bewerten und prüfen. Zudem hilft natürlich auch ein Abgleich mit anderen Beweismitteln, welche die falsche Aussage enttarnen können.

Trotz Erfahrung als Strafverteidiger und dem durch Fortbildungen erworbenen Fachwissen besteht immer die Gefahr durch inkompetente Polizisten, aber auch durch Psychotherapeuten, die nicht an der Wahrheitsfindung interessiert sind. Dies zeigen die großen Missbrauchsfälle in Worms, Trier und Saarbrücken, die sich letztendlich als falsch herausgestellt haben. Hier wurden Kinder solange durch wohlmeinende Therapeuten und Polizisten bearbeitet, bis sie jede gewünschte Person des Missbrauches beschuldigten. In verschiedenen Verfahren als Strafverteidiger in Berlin musste ich leider feststellen, dass die Fehleranalyse noch nicht bis zu allen Polizisten oder Staatsanwälten gedrungen war. Dies liegt sicherlich auch daran, dass Fortbildung bei Staatsanwaltschaft und Richtern keine Pflicht ist und nur dreißig Prozent der Richter Fortbildungsangebote überhaupt kontinuierlich wahrnehmen.


Sonntag 12. Februar 2012


Therapie für Pädophile in Brandenburg kaum existent

Wenn ich in Berlin in Sexualstrafverfahren tätig bin, empfehle ich meinen Mandanten regelmäßig die Aufnahme einer Therapie. In Berlin gibt es hier mit der Einrichtung „Kind im Zentrum“ und der „Sexualambulanz der Charité“ zwei hervorragende Einrichtungen. Bei beiden Einrichtungen reflektieren die Patienten ihre Gefühle und Empfindungen und lernen sich selbst kennen, erfahren aber auch Strategien zur Risikovermeidung, wie die Notwendigkeit von Distanz zu Kindern. Dabei zeigt sich, dass eine Therapie die beste Prävention ist und mehr leistet als eine reine Unterbringung in einer Justizvollzugsanstalt. Bei der Verteidigung von Brandenburger Mandanten stehe ich vor dem Problem, dass es keine vergleichbaren Einrichtungen gibt. Die Suche über mehrere Wochen nach qualifizierten Psychotherapeuten blieb selbst mit Hilfe der Krankenkasse erfolglos. Über zwanzig Psychotherapeuten wurden angesprochen, fühlten sich aber meist nicht qualifiziert oder hatten keine freien Kapazitäten. Hier ist die Brandenburger Politik aufgerufen Therapiemöglichkeiten zu schaffen, denn das liegt nicht nur im Interesse der Täter, sondern vor allem auch im Interesse der vermeidbaren Opfer.