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Montag 1. April 2019


Sherlock Holmes und der Columbo-Effekt

Die Kriminalistik beeinflusste immer wieder die Fiktion. Ob es nun der sehr die Öffentlichkeit nutzende Berliner Mordermittler Ernst Gennat in der Weimarer Republik war oder der heutige Leiter der Berliner Gerichtsmedizin Michael Tsokos. So wie Ernst Gennat zu seiner Zeit ist auch der Gerichtsmediziner Tsokos heute ein Medienstar. Während der Gerichtsmediziner selbst fiktional tätig ist, Bücher schreibt und im Fernsehen auftritt, ließ Ernst Gennat 1938 die erste Fernsehfahndung ausstrahlen und stand Pate für den Filmcharakter des Kriminalkommissars Karl Lohmann in den Fritz-Lang-Filmen M und das Testament des Dr. Mabuse.

Erheblich seltener wird die Kriminalistik durch die Fiktion beeinflusst. Mir sind nur zwei fiktionale Charaktere bekannt, die einen ernsthaften Beitrag zur Kriminalistik geleistet haben.

Sherlock Holmes war dabei die bedeutende Lichtgestalt, welche die reale Kriminalistik erheblich beeinflusste. Mit seiner sachlich-rationalen Herangehensweise, der Nutzung von Naturwissenschaften und Technik, dem geistigen Wettkampf begründete er faktisch die moderne Kriminalistik. Bis dahin wurde Folter zur Geständniserzwingung immer noch als probates Mittel angesehen. Die Pariser Sûreté war schon 1811 gegründet worden, gefolgt von Scotland Yard in London 1829. Obwohl beide Behörden auf dem Gebiet Kriminalistik Vorreiter waren, machte doch erst Sherlock Holmes den geistigen Wettstreit des Kriminalisten mit dem Beschuldigten in der Öffentlichkeit bekannt und akzeptabel.

Als Verteidiger muss man auch heute noch immer die Entwicklungen in der Wissenschaft und Technik verfolgen. Während bis vor wenigen Jahren Zellspuren von Zwillingspaaren von der DNA nicht unterschieden werden konnten, gibt es heute Entwicklung sie möglicherweise über Mitochondrien zu unterscheiden. Die Bedeutung von Zeugen ist heute immer noch hoch, aber heute werden auch Autos „vernommen“. Die Motorsteuerung gibt ebenso Auskunft wie ein Navigationssystem und beide weisen weniger Gedächtnislücken als menschliche Zeugen auf.

Nach Sherlock Holmes dauerte es fast 100 Jahre bis mit Inspektor Frank Columbo wieder einmal ein fiktionaler Charakter mit dem Columbo-Effekt einen Beitrag zur Kriminalistik leisten durfte. Dabei stellte sich Columbo unwissend und unkonzentriert, vermittelte dem Vernommenen ein Gefühl der Überlegenheit, wobei er sogar den Vernommenen umschmeichelte. Dadurch fühlt sich der Vernommene in Sicherheit und begeht im besten Fall Fehler und entlarvt sich vielleicht selbst. Der typische Columbo-Spruch im Türrahmen, „Eine Frage hätte ich da noch“, gehört ebenfalls zur Methode. Der Vernommene fühlt sich in Sicherheit und faktisch auf der Ziellinie und wird nun dazu gebracht ohne großes Überlegen zu antworten und dabei wieder Fehler zu begehen. Dabei ergaben sich in der Serie aus der einen Frage meist noch andere Fragen.

Es ist selten, aber kommt vor, dass man den Columbo-Effekt im Gerichtssaal als Verteidiger anwenden kann. In der Regel sind die Vernommenen aber schon durch die Atmosphäre des Gerichts vorgewarnt. Für Staatsanwälte und Richter bietet sich die Methode noch weniger an, weil sie schwerer Unwissenheit simulieren können und bei verteidigten Angeklagten die Methode sowieso ausgeschlossen ist. Besonders egozentrische und eitle Zeugen haben mir aber schon einige Male die Möglichkeit gegeben erfolgreich auf den Spuren von Frank Columbo zu wandeln.


Sonntag 1. November 2015


Voraussetzungen der Untersuchungshaft

Die Untersuchungshaft wird umgangssprachlich als U-Haft abgekürzt und diese Abkürzung ist eine der wenigen Abkürzungen im Justizbereich, die auch jedem Laien bekannt ist. Vieles andere scheint aber nicht bekannt zu sein, insbesondere Politikern und der Presse. In der Zeitung liest man dann auch immer wieder, „Skandal – Ermittlungsrichter lässt jugendlichen Räuber wieder frei“ oder Politiker fordern, „Wir erwarten von der Justiz jetzt das Zeichen, dass diese Brandstifter in U-Haft kommen.“

Solche falschen Erwartungen sind für den Strafjuristen schwer nachvollziehbar, da er die gesetzlichen Voraussetzungen der Untersuchungshaft in §§ 112ff. StPO kennt.

Copyright Malte Höpfner, Strafverteidiger, Fachanwalt für Strafrecht, Untersuchungshaft

Ermittlungsrichtersaal im Amtsgericht Tiergarten – Copyright Malte Höpfner

Ein dringender Tatverdacht muss bestehen und dieser liegt dann vor, wenn eine hohe Verurteilungswahrscheinlichkeit besteht.

Die zweite Voraussetzung ist der Haftgrund und das sind in Deutschland nur Fluchtgefahr, Verdunkelungsgefahr und Wiederholungsgefahr.

Eine Fluchtgefahr liegt, wenn die zu erwartende Strafe einen Fluchtanreiz bietet und die persönlichen Umstände diese nicht widerlegen. Da die Abwägung umfassend zu erfolgen hat, mag bei dem einen Beschuldigten schon eine U-Haft bei einer mehrmonatigen Freiheitsstrafe verhängt werden, während ein anderer bei einer zu erwartenden Strafe von 4 Jahren noch nicht in die U-Haft kommt. Die Fluchtgefahr ist der häufigste von Ermittlungsrichtern angewendete Haftgrund.

Die Verdunkelungsgefahr liegt vor, wenn der Beschuldigte davon abgehalten werden soll, Beweismittel zu vernichten oder zu verändern, wobei auch Zeugen Beweismittel in diesem Sinne sind. Sobald die Beweissicherung aber abgeschlossen ist, entfällt die Verdunkelungsgefahr.

Sowohl Fluchtgefahr und Verdunkelungsgefahr lassen den Zweck der U-Haft erkennen und das ist die Sicherung des Verfahrens. Die Hauptverhandlung soll nicht deshalb entfallen, weil der Beschuldigte geflohen ist oder Beweismittel vernichtet hat.

Deshalb ist der Haftgrund Wiederholungsgefahr auch nur nachrangig, er soll Serientäter von weiteren Straftaten abhalten.

Bei dem oben genannten jugendlichen Räuber erschien der jugendliche Beschuldigte pünktlich zum Gerichtstermin, womit sich die Prognoseentscheidung des Ermittlungsrichters als richtig gezeigt hatte, darüber berichtete nun aber keine Zeitung.

Bei Aufforderungen von Politikern an Ermittlungsrichter „Zeichen zu setzen“ handelt es sich meiner Ansicht nach, klar um eine Aufforderung eine strafbare Rechtsbeugung zu begehen. Die Justiz darf Zeichen setzen und Abschreckung in ihren Urteilen betreiben, die Forderungen der Politiker hingegen greifen die Unschuldsvermutung an. Da soll dann ein möglicherweise Unschuldiger zu Unrecht in die U-Haft kommen, um damit politische Botschaften zu senden.

Nach der Prüfung der Haftgründe muss der Ermittlungsrichter die Verhältnismäßigkeit prüfen. Wenn die Straferwartung nur bei sechzig Tagessätzen liegt, wäre eine viermonatige Untersuchungshaft wohl falsch. Bei Bagatelldelikten wird der Richter im Übrigen besonders genau die Verhältnismäßigkeit von U-Haft abwägen. Das gleiche gilt, wenn die Justiz zu zügigen Verhandlungen nicht in der Lage ist. Wenn durch Auflagen die Fluchtgefahr abgewendet werden kann, so kann die Untersuchungshaft zumindest außer Vollzug gesetzt werden. Die am meisten gebräuchliche Auflage in Deutschland ist die Meldeauflage bei der Polizei, bei Beschuldigten mit Auslandsbezug werden die Pässe eingezogen. Anders als in den USA findet in Deutschland die Sicherheitsleistung durch Geld, die Kaution, nur selten Anwendung und die Summen sind meist erheblich niedriger.

Wenn ein Angeklagter trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht zur Hauptverhandlung erscheint, kann gemäß § 230 Abs. 2 StPO ein Haftbefehl erlassen werden, was eine Sonderform der U-Haft darstellt.


Sonntag 1. Februar 2015


Fachanwalt für Strafrecht

Die Rechtsanwaltskammer Berlin verlieh mir die Bezeichnung, „Fachanwalt für Strafrecht“. Mit der Fachanwaltsurkunde wurden meine besondere Erfahrung und das Sonderwissen im Strafrecht gewürdigt.

Die Voraussetzungen für die Erlangung der Fachanwaltsbezeichnung waren ein Fachanwaltslehrgang von mindestens 120 Stunden, den ich schon im Jahr 2007 absolviert hatte. Der Fachanwaltslehrgang am Deutschen Anwaltsinstitut deckte ein weites Spektrum ab. Nach bekannten Strafverteidigern, welche zur Verteidigung in Mordprozessen referierten, hielt der forensische Psychiater Professor Nedopil eine Vorlesung in seinem Spezialgebiet ab, bevor ein Rechtsanwalt zum Steuerstrafrecht vortrug und durch einen Staatsanwalt abgelöst wurde, der Betrugssysteme wie Umsatzsteuerkarusselle und CO²-Zertifikat-Schwindel erklärte. Auch Randgebiete wie das Umweltstrafrecht wurden beleuchtet und das Wissen in 3 jeweils fünfstündigen Klausuren überprüft. Nach dem Fachanwaltslehrgang war eine jährliche Fortbildung von zehn Stunden, ab 2015 von 15 Stunden Pflicht.

Neben dem theoretischen Wissen sind mindestens sechzig Fälle im Strafrecht und vierzig Hauptverhandlungstage vor dem Schöffengericht, Landgericht oder OLG nachzuweisen, die innerhalb von drei Jahren absolviert wurden. Mit meinem schon bestehenden Tätigkeitsschwerpunkt im Strafrecht konnte ich eine mehrfache Zahl an Fällen und auch eine erhebliche höhere Zahl an Hauptverhandlungstagen der Kammer vorweisen.

Mit der Verleihung der Fachanwaltsbezeichnung ist man sicherlich kein besserer Strafverteidiger als am Tag zuvor, es ist eher ein Qualitätsnachweis für den Ratsuchenden.


Mittwoch 15. Mai 2013


Pflichtverteidiger für Jugendliche – Anwalt für Jugendstrafrecht in Berlin

Auch Jugendliche können einen Anspruch auf einen Pflichtverteidiger haben, wenn die Voraussetzungen vorliegen.

Der Hauptfall ist das Vorliegen eines Verbrechens, wenn das Gesetz eine Mindeststrafe von einem Jahr für Erwachsene vorsieht. Das sind zum Beispiel Raub und räuberische Erpressung, als „Abziehen von Kleidung, Handys, etc.“ unter Jugendlichen nicht selten.

Bei Vergehen, wenn eine Strafe von über einem Jahr zu erwarten ist, liegt ebenfalls ein Pflichtverteidigungsfall vor. Ebenso ist dies der Fall, wenn der Fall rechtlich und sachlich schwierig ist, bzw. der Beschuldigte  sich nicht selbst verteidigen kann.

Verteidigung von Jugendlichen, JGG, Jugendstrafe

Kriminalgericht Moabit – Wilsnacker Straße, Copyright Malte Höpfner

In den Fällen, in denen kein Anspruch auf eine Pflichtverteidigung besteht, ist Eltern zu empfehlen trotzdem anwaltlichen Rat in Anspruch zu nehmen, im Notfall im Rahmen der Beratungshilfe.  Das Jugendstrafrecht enthält ernsthafte Sanktionen vom Arrest bis zur Jugendstrafe und aus erzieherischen Gründen werden manchmal auch höhere Strafen als im Erwachsenenstrafrecht gefordert und verhängt. In einem Fall erlebte ich, dass ein Mitarbeiter der Jugendgerichtshilfe aus pädagogischen Gründen noch eine Sanktion forderte, obwohl ernste Zweifel an seiner Schuld bestanden. Der JGH-Mitarbeiter hing damals dem Gedanken an, dass der Beschuldigte schon für so viele Straftaten nicht bestraft worden sei, dass man ihn nun zum Ausgleich einmal für eine Straftat bestrafen könnte, die er nicht begangen hatte.  Natürlich kam es in meiner Anwesenheit nicht zu einem solchen Unsinn.


Dienstag 15. Januar 2013


Wenn es mal schnell gehen muss – Verteidiger im Jugendstrafrecht

In Berlin gibt es für weibliche Jugendliche keine eigene Haftanstalt, sie werden in der Haftanstalt der Frauen in Berlin-Lichtenberg untergebracht. Ich halte diese Regelung aus sozialpädagogischen Gründen für schlecht und war daher auch nicht besonders glücklich als ich einer zur Tatzeit 14-Jährigen als Pflichtverteidiger beigeordnet wurde, die gerade festgenommen worden war. Es war ein Donnerstag und ich kontaktierte noch am selben Tag den zuständigen Richter. Da die Festgenommene schon mehr als eine Hauptverhandlung versäumt hatte, war der Richter leider, aber verständlich, nicht zur Aussetzung des Haftbefehls bereit. Um meine Mandantin trotzdem schnell aus dem Gefängnis zu bekommen, vereinbarte ich mit ihm einen schnellen Verhandlungstermin. Er selbst wollte in der Mitte der nächsten Woche in den Urlaub fliegen, und wir konnten uns mit Mühe auf den Montag einigen. Ich war bereit im Interesse meiner Mandantin auf Ladungsfristen zu verzichten und nahm sofort Kontakt mit der zuständigen Jugendgerichtshilfe (JGH) auf. Diesmal hatte ich Glück und geriet an einen sehr guten, hochkompetenten Beamten, mit dem ich schon öfter zusammengearbeitet hatte. Er suchte nach seinem regulären Feierabend noch am Freitag die Jugendliche im Gefängnis auf, um seinen Bericht und einen Hilfeplan für das Gericht zu fertigen.

Um die Hauptverhandlung vorzubereiten, aber auch um ein wenig Trost zu spenden, vereinbarte ich mit der Anstaltsleitung, dass ausnahmsweise eine Anwaltssprechzelle auch am Sonnabend zur Verfügung gestellt wurde. Damit auch wirklich nichts mehr schiefging, informierte ich zur Sicherheit direkt die JVA über die Hauptverhandlung und die Notwendigkeit des Gefangenentransports zum Termin. Den Rest des Sonnabends verbrachte ich damit die Akte durchzuarbeiten und die Verhandlung vorzubereiten.

Am Montag im Gerichtssaal hatte sich alles zum Guten gewandt. Der Hilfeplan der Jugendgerichtshilfe stellte sicher, dass die Mandantin auf einen richtigen Weg geschickt wurde und der kurze Aufenthalt im Gefängnis und unseren intensiven Gespräche hatten dafür gesorgt, dass das Gericht davon ausgehen konnte, dass die Mandantin nun alle ihre Termine wahrnehmen würde.  So konnte das Gericht auf einen weiteren Freiheitsentzug verzichten und sich mit dem Hilfeplan der JGH für einverstanden erklären.

Im Nachgang erfuhr ich, dass sich der Einsatz gelohnt hatte und die Mandantin auf dem rechten Weg war.  Ein längerer Aufenthalt in der JVA Lichtenberg hätte nach meiner Einschätzung sicher keine positive Wirkung gehabt, da man in diesen Einrichtungen als Jugendliche leider auch von den Falschen lernen kann. Dies ist umso mehr der Fall, da die JVA Lichtenberg eigentlich nicht auf Jugendliche eingestellt ist.

Als Strafverteidiger von Jugendlichen hatte ich hier aber auch mehrfach Glück, zum einen den guten Kontakt zum entscheidenden Richter zu pflegen, zum anderen mit dem zuständigen JGH-Beamten schon in anderen Verfahren erfolgreich zusammengearbeitet zu haben und das Entgegenkommen der JVA-Leitung.

Von Donnerstag zu Montag, das war für mich das kürzeste vollständige Verfahren in meiner bisherigen Praxis. Der Arbeitsaufwand konnte sich aber mit drei Gefangenenbesuchen und langen Telefonaten aber mit jedem normalen Verfahren messen.


Samstag 15. September 2012


Neuregelungen im Jugendstrafrecht ab 01.09.2012

Jugendrichter haben ab dem 01.09.2012 weitere Sanktionsmöglichkeiten erhalten. Das Höchstmaß der möglichen Jugendstrafe bei Mord wurde bei Heranwachsenden (18-21) von 10 auf 15 Jahre heraufgesetzt. Das Jugendgericht muss dabei als zusätzliche Voraussetzung die besondere Schwere der Schuld feststellen.

Damit hat sich der Bundestag über die massiven Einwände von Kriminologen, Anwaltsverbänden, aber auch der Deutschen Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfe hinweggesetzt. Andererseits betrifft die Änderung auch nur eine minimale Gruppe von Personen, die auch zuvor schon unter Anwendung von Erwachsenenstrafrecht mit einer lebenslangen Freiheitsstrafe hätten bestraft werden können.

Ab März 2013 kann nun auch der seit Jahren umstrittene Warnschussarrest durch die Jugendgerichte verhängt werden. Dabei können Richter bis zu 4 Wochen Jugendarrest neben einer zur Bewährung ausgesetzten Jugendstrafe verhängen. Als Grund für die Einführung des Warnschussarrestes wurde angesehen, dass Jugendtäter Bewährungsstrafen oft als faktischen Freispruch empfinden. Als Praktiker kann man dies nicht immer bestreiten. Bei einer Verhandlung gegen mehrere Jugendliche und Heranwachsende erhielt ein Täter einen Freizeitarrest von einem Wochenende, während die anderen mit Bewährungsstrafen von über einem Jahr bedacht wurden.  In diesem Fall kam es zur eigenartigen Situation, dass sich nur hinter dem Täter mit der geringsten Beteiligung die Tore schlossen, während die anderen mitleidig auf ihn herunterblickten. Für die beteiligten Juristen war klar, dass bei einem Bewährungswiderruf sich hinter den anderen für eine mehr als hundertfach längere Zeit die Tore einer Jugendstrafanstalt schließen würden. Diese Erkenntnis war leider nicht allen Jugendlichen zu vermitteln und so kam es bei einigen Mandanten von Kollegen zum Bewährungswiderruf. Ich kann den Warnschussarrest nicht von vornherein verurteilen, es wird darauf ankommen, in welcher Weise die Jugendrichter ihn anwenden werden. Es wäre sicherlich falsch ihn bei jeder Bewährungsstrafe einfach draufzusatteln.


Mittwoch 15. August 2012


Das Werkzeug des Jugendrichters und die Einflussmöglichkeiten des Verteidigers im Jugendstrafrecht

Bei Anwendung von Jugendstrafrecht steht der Erziehungsgedanke im Vordergrund. Die Rechtsfolgen der Straftat bestimmen sich nach § 5 JGG, worunter Erziehungsmaßregeln, Zuchtmittel und Jugendstrafe fallen. Die Sanktionsbreite des Jugendstrafrechts ist erheblich weiter als das allgemeine Strafrecht und auch wenn mit zehn Jahren Jugendstrafe eine Begrenzung nach oben existiert, können die Sanktionen in manchen Fällen härter als im allgemeinen Strafrecht sein.

Erziehungsmaßregeln, § 9 JGG

Erziehungsmaßregeln sind ein Mittel mit einem sehr hohen erzieherischen Anteil und einem geringen Strafpotential.

Weisungen, § 10 JGG

Weisungen sind Gebote und Verbote, welche die Lebensführung des Jugendlichen regeln und seine Erziehung fördern sollen. Darunter fallen unter anderem Weisungen zum Aufenthaltsort, eine Weisung zum Schulbesuch, zur Annahme von Ausbildungsstellen, der Unterstellung unter einen Betreuungshelfer und auch die Weisung an sozialen Trainingskursen teilzunehmen. Bei Zuwiderhandlung kann der Jugendrichter bis zu vier Wochen Beugearrest verhängen.

Hilfe zur Erziehung, § 12 JGG

Nach Anhörung des Jugendamtes kann der Richter dem Jugendlichen auferlegen Hilfen zur Erziehung anzunehmen, wie eine Erziehungsbeistandschaft oder die Unterbringung in Jugendeinrichtungen.

Zuchtmittel, § 13 JGG

Wenn Jugendstrafe noch nicht geboten ist, aber Weisungen nicht mehr ausreichen, wird der Richter zu den Zuchtmitteln greifen, um dem Jugendlichen eindringlich zum Bewusstsein zu bringen, dass er für sein begangenes Unrecht einzustehen hat.

Verwarnung, § 14 JGG

Die Verwarnung stellt das geringste Zuchtmittel dar, sie erweist sich aber in den meisten Fällen doch als ausreichend.

Erteilung von Auflagen, § 15 JGG

Der Richter kann dem Jugendlichen auch Auflagen erteilen, wie Freizeitarbeiten, Geldauflagen oder Wiedergutmachung. Der Verurteilte wird mit der Androhung von Beugearrest von bis zu 4 Wochen zur Erfüllung der Auflagen angehalten. In meiner praktischen Tätigkeit muss ich immer wieder mit Erstaunen feststellen, dass manche Jugendliche es auf den Beugearrest ankommen lassen. Das Entsetzen ist dann immer groß, wenn sich die Stahltore für Wochen hinter ihnen schließen.  Auch nach Jahren ärgere ich mich noch regelmäßig über diese vermeidbaren Aufenthalte in der Jugendarrestanstalt, aber diese Entscheidung liegt dann ganz in der Hand der Jugendlichen.

Jugendarrest, § 16 JGG

Der Jugendarrest kann als Freizeitarrest meist von Freitag bis Sonntag, als Kurzarrest oder als Dauerarrest von einer bis zu 4 Wochen verhängt werden. In diesem Punkt ist das Jugendstrafrecht schärfer als das allgemeine Strafrecht, wo nach § 47 Strafprozessordnung (StPO) kurze Freiheitsstrafen nur in Ausnahmefällen verhängt werden dürfen und sonst die Geldstrafe vorrangig anzuwenden ist.

Jugendstrafe, § 17 JGG

Die Jugendstrafe ist die härteste Sanktion des Jugendstrafrechts und ist derzeit auf zehn Jahre begrenzt.

Dauer der Jugendstrafe, § 18 JGG

Das Mindestmaß der Jugendstrafe beträgt sechs Monate, das Höchstmaß fünf Jahre. Wenn das allgemeine Strafrecht eine Höchststrafe von mehr als fünf Jahren androht, dann können bis zu zehn Jahre Jugendstrafe verhängt werden.

Strafaussetzung zur Bewährung, § 21 JGG

Die Jugendstrafe kann zur Bewährung ausgesetzt werden.

Strafaussetzung der Jugendstrafe, § 27 JGG

Eine Besonderheit des Jugendstrafrechts ist § 27 JGG, wonach der Jugendrichter die Entscheidung über die Verhängung der Jugendstrafe über eine von ihm zu bestimmende Bewährungszeit aussetzen kann. Er stellt also die Schuld fest und entscheidet aber zum Beispiel erst 6 Monate später, ob er eine Jugendstrafe verhängt. Für den Jugendlichen ist dies dann die letzte Chance sich zu bewähren.

Entscheidung über Aussetzung zur Bewährung, § 57 JGG

Eine weitere Besonderheit ist § 57 JGG, wonach der Jugendrichter auch die Entscheidung über die Bewährung zurückstellen kann. Nach meiner Erfahrung stellen die §§ 27 und 57 JGG eine sehr starke Motivation für einen Verurteilten dar und für den erfahrenen Verteidiger im Jugendstrafrecht die letzte Chance um seinen Mandanten vor einer Jugendstrafe zu bewahren. Ich habe dabei die Erfahrung gemacht, dass Anwälte aus anderen Rechtsgebieten diese Vorschriften nicht kannten, was sich für ihre Mandanten negativ auswirkte.

 

So wie der Werkzeugkasten des Jugendrichters vielfältig ist, so sollte auch der als Verteidiger von Jugendlichen tätige Rechtsanwalt die Möglichkeiten kennen, um für seinen Mandanten die günstigste Lösung zu finden. Gerade in kritischen Fällen wird der erfahrene Verteidiger in Jugendverfahren frühzeitig das Gespräch mit der Jugendgerichtshilfe und dem Gericht suchen und versuchen Überzeugungsarbeit zu leisten. Dies erst in der Verhandlung zu versuchen, könnte sich manchmal als zu spät erweisen.

 

Zu Neuregelungen im Jugendstrafrecht finden Sie weitere Informationen in diesem Artikel https://straf-kanzlei.de/neuregelungen-im-jugendstrafrecht-ab-01-09-2012/ .


Montag 16. Juli 2012


Wann ist Jugendstrafrecht anzuwenden?

Jugendstrafrecht ist im Prinzip auf Jugendliche anzuwenden und Jugendlicher ist, wer zur Tatzeit vierzehn aber noch nicht achtzehn ist, § 1 Abs. 2 Jugendgerichtsgesetz (JGG). Eine Einschränkung macht § 3 JGG, der auch noch die Verantwortlichkeit des Jugendlichen fordert, er muss zur Tatzeit nach seiner Entwicklung reif genug gewesen sein das Unrecht seiner Tat zu erkennen und nach dieser Erkenntnis zu handeln.

Zur Erziehung eines Jugendlichen, der mangels Reife noch nicht strafrechtlich verantwortlich ist, kann der Richter dieselben Maßnahmen wie ein Familien- oder Vormundschaftsrichter, anordnen.

Auf Heranwachsende, wer also achtzehn aber noch nicht 21 Jahre alt ist, wird Jugendstrafrecht angewendet, wenn der Richter zum Schluss kommt, dass der Heranwachsende nach seiner Entwicklung zur Tatzeit noch einem Jugendlichen gleichstand oder es sich bei der Tat um Jugendverfehlung handelte, § 105 Abs. 1 JGG.

Als Strafverteidiger von Jugendlichen und Heranwachsenden muss man sich dieser Eingangstore zum Jugendstrafrecht bewusst sein. Bei Heranwachsenden ist es vielfach sinnvoll auf eine Bestrafung nach Jugendstrafrecht zu dringen, weil diese für den Mandanten günstiger ist. In manchen Fällen fährt der Mandant aber mit einer Anwendung des allgemeinen Strafrechts besser, dies ist von Fall zu Fall abzuwägen.


Freitag 8. Juni 2012


Strafverteidigung und Jugendgerichtshilfe

Sollen jugendliche Beschuldigte Termine bei der Jugendgerichtshilfe (JGH) wahrnehmen? Diese Frage erhält man als Strafverteidiger in Jugendstrafverfahren oft gestellt.

Eine einfache Antwort gibt es wie bei vielen juristischen Fragen natürlich nicht.

Es gilt zuerst die Frage zu beantworten, welche Aufgabe hat die Jugendgerichtshilfe. Als besondere Abteilung des Jugendamtes, welches die Aufgabe hat, das Gericht mit einem sozialpädagogisch begründeten Sanktionsvorschlag bei der Entscheidungsfindung zu unterstützen. Die Jugendgerichtshelfer nehmen dazu an der Hauptverhandlung teil und führen oft auch ein Vorgespräch mit den jungen Beschuldigten. Nach dem Urteil obliegt der JGH die Nachbetreuung, unter anderem überwachen sie dabei die Ausführung von Weisungen und informieren das Gericht.

Obwohl sich einige JGH’s in Deutschland schon in „Jugendhilfe im Strafverfahren“ umbenannt haben, um sich vermeintlich von der Justiz zu distanzieren, stehen sie im Zweifel doch klar im Lager der Justiz. So unterliegen sie keiner Schweigepflicht und fordern aus sozialpädagogischen Gründen oft noch Sanktionen, wenn das Gericht schon einen Freispruch aus Mangel an Beweisen plant.

Man muss sich der Rolle der JGH bewusst sein, bevor man über die Teilnahme an einem Vorgespräch bei der JGH entscheidet. Dann bleiben neben den Varianten „hingehen“ oder „nicht hingehen“, auch Abstufungen möglich.  So empfehle ich in manchen Fällen jungen Mandanten die Jugendgerichtshilfe aufzusuchen, aber von vornherein klar zu erklären, dass die Tatvorwürfe nicht besprochen werden. In anderen Fällen übernimmt der Strafverteidiger auch die Darstellung der persönlichen Verhältnisse und übermittelt diese Daten der JGH. Diese kann auf dieser Grundlage ihrer Arbeit nachkommen und der Mandant kommt nicht in Gefahr zu viel zu erzählen.

Bis auf wenige sehr einfach gelagerte Fälle empfiehlt sich meist die Beratung durch einen Strafverteidiger, und eventuell auch die spätere Beauftragung. In der Regel wird eine Akteneinsicht für den Strafverteidiger notwendig sein, um eine fundierte Stellungnahme abgeben zu können.


Donnerstag 16. Februar 2012


Aktualität von Telefonverzeichnissen in Berliner Behörden

Lange Wartezeiten ist man bei der zentralen Telefonvermittlung der Berliner Behörden gewohnt, oft auch den aufgezeichneten Spruch „Rufen Sie bitte zu einer anderen Zeit an.“ Besonders ärgerlich ist aber die fehlende Aktualität. Bei der Jugendgerichtshilfe Marzahn-Hellersdorf war über mehrere Jahre ein ausgeschiedener Mitarbeiter eingetragen, dafür fehlten die Nachfolger. Für den Anrufer und wie auch für die Behördenmitarbeiter ist es zeitraubend, wenn man sie als direkte Vermittlung benutzen muss. Offensichtlich fehlt es in vielen Behörden aber am Einsehen, dass man nicht nur die internen Telefonverzeichnisse aktuell halten sollte, sondern auch die zentrale Vermittlung von Stellenänderungen informieren sollte.


Freitag 1. Juli 2011


Rechtsberatung durch den Berliner Anwaltsverein (BAV) im Jugendclub Betonia

Der Berliner Anwaltsverein hat nach der ersten Rechtsberatungsstelle für Jugendliche aus armen Familien im Wedding nun auch in Marzahn-Hellersdorf eine zweite Beratungsstelle eröffnet. Im Jugendclub Betonia findet immer mittwochs in der Zeit von 15.00-18.00 Uhr eine kostenlose Jugendberatung durch Anwälte statt. Vorgesehen ist die rechtliche Beratung zum Strafrecht, ALG II, zu Internetverträgen, zum Familienrecht u.a.

Unter der zentralen Telefonnummer der anwaltlichen Jugendberatung 030-460 67 584 kann die notwendige Anmeldung erfolgen.

„Jugendliche wissen oft viel zu wenig über ihre Rechte. Genau hier setzt die Jugendberatungsstelle an. Wir wollen den jungen Menschen helfen ihre Rechte zu erkennen und zu wahren“, sagte Ulrich Schellenberg, Vorsitzender des Berliner Anwaltsvereins und Initiator der Jugendberatung.

Am 29. Juni 2011 stellte ich mich für die Beratung zur Verfügung. Genügend Erfahrung brachte ich schon meiner ehrenamtlichen Tätigkeit für die Vereinigung Berliner Strafverteidiger mit, für die ich in der Beratung in Haftanstalten und im Berliner System des Anwaltsnotrufs tätig war. Gern brachte ich meine Erfahrung als Verteidiger im Jugendstrafrecht ein.

Ich teile die von der damaligen Justizsenatorin geäußerte Hoffnung, dass sich die anwaltliche Beratung in den Räumlichkeiten von Betonia etablieren wird und will durch weiteres eigenes Engagement dazu beitragen. Gerade für Marzahn-Nord und Problemviertel in Hellersdorf ist dies ein Angebot zur richtigen Zeit.