Montag 1. Oktober 2012



Ohrlochstechen bei Kindern strafbar?

Es begann mit der Debatte um Beschneidungen von männlichen Kindern, dass sich die Justiz, die juristische Wissenschaft aber auch die interessierte Öffentlichkeit mit Fragen wie Schönheitsoperationen bei Kindern, aber auch mit Ohrlochstechen beschäftigte.  Bei einer Beschneidung liegt tatbestandsmäßig eine Körperverletzung vor. Fraglich war immer nur die Rechtfertigung durch die Einwilligung der Eltern. Mit gewichtigen Gründen sprach sich eine Gruppe gegen die Möglichkeit einer solchen Einwilligung in eine Verstümmelung des Kindes aus, zumal es keine medizinischen Gründe gibt. Die andere Seite sah durch ein Verbot das elterliche Erziehungsrecht und die Religionsfreiheit verletzt.

Die juristische Literatur, aber auch die interessierte Öffentlichkeit beschäftigten sich dann mit der Frage von Schönheitsoperationen von Kindern.  Es gab dabei die strafrechtlich unproblematischen Fälle wie offene Gaumenspalten, aber auch extrem abstehende Ohren, welche schon eine psychische Belastung für Kinder darstellen können. Schwieriger wurde es bei  eher ästhetisch motivierten Operationen wie Nasenverkleinerungen, Brustvergrößerungen, die zunehmend bei weiblichen Jugendlichen in Mode kommen. In Extremfällen kann man eine Rechtfertigung durch die Abwehr von psychischen Belastungen annehmen, aber es bleibt immer eine schwierige Abwägungsfrage.

In der juristischen Debatte befand sich das Ohrlochstechen, Ohrlochschießen oder Piercen bei Kindern seit längerem, wurde dann aber durch einen Zivilprozess in Berlin auch der allgemeinen Öffentlichkeit als strafrechtliches Problem bekannt. Für mich als medizinischen Laien wurde erst im Rahmen dieser Debatte und einer Diskussion mit mehreren Ärzten auf einer rechtspolitischen Veranstaltung bekannt, dass Ohrlöcher nicht einfach wieder zuwachsen. Es bleiben in der Regel Hohlräume, Narbengewebe, Entzündungen und Talgpfropfen, so dass man nicht von mehr von einer einfachsten Verletzung sprechen kann. Dies wäre notwendig gewesen, um schon die Tatbestandsmäßigkeit abzulehnen. So handelt es um eine tatbestandsmäßige Körperverletzung und die Rechtfertigung war zu prüfen. Das Erziehungsrecht der Eltern reicht hier nach Ansicht vieler Juristen nicht als Rechtfertigung aus. Der „Wunsch“ des Kindes blieb zu Recht ungehört, da kleine Kinder mangels Einsichtsfähigkeit nicht den Überblick über mögliche medizinische Risiken haben. Es ist aber auch schon eine eigenartige Argumentation von Eltern, die zeigt, dass sie ihre Elternpflichten nicht begriffen haben, wenn sie sich rechtfertigen, „Ja der zweijährige Kevin oder die dreijährige Jaqueline haben sich das aber so gewünscht.“ Unabhängig von den medizinischen Risiken besteht bei kleinen wild herumspielenden Kindern mit Ohrsteckern auch eine nicht zu unterschätzende Verletzungsgefahr. Der Berliner Zivilrichter kündigte jedenfalls zum Ende seiner Verhandlung über die Frage von Schmerzensgeld wegen eines angeblich verpfuschten Ohrlochschießens an, die Verfahrensakte zur Prüfung der Staatsanwaltschaft vorzulegen. Dann würden die Strafbarkeit der Mitarbeiter des Tatoostudios, aber auch die strafrechtliche Verantwortung der Eltern geprüft.

Als Ergebnis bleibt: Ab 18 Jahre können sich „geistig normale“ Menschen „mit freiem Willen“ nach freiem Ermessen verschönern oder verstümmeln lassen. Bei Kindern wird die Justiz zukünftig sehr streng die Frage der Einwilligungsberechtigung der Eltern beurteilen, während es bei Jugendlichen eine Abwägungsfrage bleibt. Eine anwaltliche Beratung ist anzuraten, um Sanktionen durch das Strafgericht oder das Familiengericht zu vermeiden.