Samstag 12. September 2015



Bad Saarow 2015: Der Zeugenbeweis

Am 11. und 12. September 2015 dürfte es schwer geworden sein einen guten Strafverteidiger in Berlin zu erreichen, denn die Vereinigung Berliner Strafverteidiger hatte zum Wochenendseminar nach Bad Saarow eingeladen.

Copyright Malte Höpfner, Strafverteidiger, Fachanwalt für Strafrecht

Seminar 2015 der Vereinigung Berliner Strafverteidiger in Bad Saarow, Copyright Malte Höpfner

Das Seminar stand unter dem Motto, „Der Zeugenbeweis – Von der Wahrheit, der Pflicht und anderen Fehlleistungen“.

Wegen beruflicher Verpflichtungen konnte ich nicht an der Podiumsdiskussion am Freitag zum Thema, „Transfer von Ermittlungsergebnissen in die Hauptverhandlung – Wird der Zeuge aus der Hauptverhandlung verdrängt?“ teilnehmen, sondern reiste erst am nächsten Tag an.

Hier wurde die Veranstaltung mit zwei parallelen Arbeitsgruppen fortgesetzt, wobei die erste Gruppe sich mit der Frage, „Der Polizeizeuge – objektiv oder interessenorientiert?“, beschäftigte.
Ich hatte mich der zweiten Arbeitsgruppe angeschlossen, wo es um die Frage ging, „Zeugen: Im Namen des Volkes oder des Irrtums?“.

Die Referenten waren sehr gut ausgesucht und so referierte die Glaubhaftigkeitsgutachterin Diplom Psychologin Claudia Böhm zu ihrem Tätigkeitsgebiet und stellte neue und alte Erkenntnisse ihres Fachbereiches vor. Interessant war dabei ein Zeitungsartikel von 1905 zu einer erzwungenen falschen Aussage und den damaligen Erkenntnissen zur Glaubhaftigkeitsfeststellung. Zum einen stellte man fest, wie alt doch schon manche Erkenntnisse waren und zum anderen wunderte man sich, dass Polizei und Justiz es in über 100 Jahren noch nicht geschafft hatten, wissenschaftliche Erkenntnisse in ihre Arbeit zu integrieren.
Erschreckend war dann auch ihre Aufzählung von falschen Geständnissen, die nicht so selten sind, wie man denken sollte. Da gab es vor wenigen Jahren einen Mordfall, wobei die Angehörigen in stundenlangen Polizeiverhören gestanden hatten den Familienvater erschlagen und an Hunde und Schweine verfüttert zu haben. Geständnisse wurden im Laufe des Verfahrens zurückgezogen, der folgende Schuldspruch dann vom Bundesgerichtshof und dem Bundesverfassungsgericht bestätigt. Die Geschichte wurde nur dadurch gestört, dass man die unversehrte Leiche einige Jahre später in seinem KFZ sitzend in der Donau fand. Offensichtlich war er betrunken mit dem Auto in den Fluss gestürzt und umgekommen.
Beim Fall „Pascal in der Tosa-Klause“ gab es dann noch mehr Geständnisse, teilweise von Personen, die zur Tatzeit in Heimen untergebracht oder in Gefängnissen gewesen waren. Ich dachte dabei an einen Ausspruch von Stalins Generalstaatsanwalt, dass das Geständnis die Königin der Beweismittel sei. Der Wahrheitsgehalt war ihm immer egal gewesen, nur scheinen einige deutsche Polizisten nach ähnlichem Muster zu arbeiten.
In diesem Zusammenhang stellte die Referentin auch das neueste Buch des Dogen der Aussagepsychologie Prof. Max Steller vor, „Warum jeder unschuldig verurteilt werden kann.“

Der zweite Referent war der Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamten beim BKA Andy Neumann, der als Polizeigewerkschafter sich vor die Polizei stellte und Versäumnisse auf fehlendes Personal, schlechte Ausbildung und vor allem unzureichende Fortbildungen zurückführte. Bei der Frage der audiovisuellen Dokumentation von Vernehmungen gab es zwischen dem Publikum und ihm einen Dissens, da er nicht die Forderung teilte alle Vernehmungen zu aufzuzeichnen. Seinem Einwand des fehlenden Personals und notwendiger Verschriftung der Aufzeichnungen wurde aus dem Publikum mit einem Verweis auf britische Praxis und die fehlende Notwendigkeit einer vollständigen Verschriftung entgegnet.

Die Berliner Richterin am Landgericht Ioakimides stellte sich gegen die Forderung der Strafverteidiger nach umfassender audiovisueller Dokumentation von Vernehmungen mit dem formalen Argument, dass dadurch der Vorrang der Erkenntnisgewinnung in der Hauptverhandlung geschwächt würde. Das Argument war formal richtig, nur dass das Publikum hier in einer Abwägung zum Schutz vor Fehlurteilen wohl bereit war, hier auch die Einführung von mehr Aufzeichnungen aus dem Ermittlungsverfahren in Gerichtsverhandlungen zu akzeptieren. Nur so würden Fehler in der Konstanz von Aussagen überhaupt entdeckt werden können, lautete hier das Argument der Strafverteidiger.
Für mich beantwortete sich im Referat der Landrichterin die Frage, warum die Justiz auch in hundert Jahren noch nicht die Erkenntnisse der Wissenschaft reflektiert hatte. Wie bei den Kriminalbeamten lag dies auch an mangelnder Fortbildung, denn bei über sechshundert Staatsanwälten und Strafrichtern in Berlin und noch einigen weiteren in Brandenburg bietet die Richterakademie Berlin-Brandenburg nur eine jährliche Fortbildung zur Glaubhaftigkeitsbegutachtung für 20-30 Richter an. Dazu kam aber noch das Problem der Freiwilligkeit von Fortbildungen für Richter und dass dazu notwendige Engagement der Richter.
Hierzu hatte ich in einer früheren Veranstaltung vom Präsidenten des AG Tiergartens erfahren, dass ein Drittel seiner Richter faktisch niemals Fortbildungen besuchten und ein weiteres Drittel nur selten. Die Personalabteilung der Senatsverwaltung für Justiz legt auf spezifisches Fachwissen sowieso keinen Wert.
Manche Kritik empfand ich als unpassend, da doch letztendlich die Richter, denen wir bei Fortbildungsveranstaltungen begegnen, gerade die guten reflektierenden und nachdenkenden Richter sind. Im Umkehrschluss gibt es aber auch bei diesen Richtern den bedauerlichen Reflex ohne Unterschied ihre Kollegen zu verteidigen.

Der letzte Dozent war ein Kollege, der von seinen Erfahrungen aus Revisionsprozessen berichtete und dabei auf den humorigen Fakt hinwies, dass selbst der Bundesgerichtshof von Glaubwürdigkeitsprüfungen schreibt, wo es um Glaubhaftigkeit geht.