Dienstag 1. Oktober 2019



Irrtümer und Versehen

Der größte Feind der Wahrheit ist nicht die Lüge, sondern der Irrtum. Die Wahrheit dieses Satzes bestätigt sich mir immer wieder aufs Neue in vielen Verfahren. Zwei Fälle waren in letzter Zeit besonders eindrücklich.

Bei einem Fall wurde der Mandant in seiner Wohnung von den eingesetzten Polizisten recht nachdrücklich zu Boden gebracht. Man beschlagnahmte alle Computer und sonstigen Datenträger, darunter natürlich auch das berufliche Mobiltelefon. Wie so oft in solchen Verfahren drohte schon die Entlassung aus dem Arbeitsverhältnis als ich das Mandat vom leugnenden Mandanten übernahm.

Ich erhielt überraschend schnell Akteneinsicht und las mich schon auf dem Gang vor der Geschäftsstelle der Staatsanwaltschaft ein. Anders als früher hatte man nicht erst den Vertrag ermittelt und über den Telefonanbieter den Beschuldigten identifiziert. Nein, diesmal gab es eine neue zentrale Datei, die ohne Zwischenschritte den Beschuldigten der Nummer zuwies. Den Vertrag wollte ich trotzdem sehen, da ich eine Verwechslung über Prepaid-Verträge und Nummernneuvergaben für möglich hielt. Nach einigem Hin- und Herr mit der Staatsanwaltschaft über die Notwendigkeit meiner Anfrage, ging die Staatsanwaltschaft nun meinem Beweisermittlungsantrag doch nach und wurde überrascht.

Kurze Zeit später wurde die Verfahrenseinstellung mitgeteilt, eine Polizeibeamtin hätte die Nummer falsch eingegeben, nun würde gegen den Richtigen das Verfahren eröffnet. Ärgerlich war, dass trotz aller Beeinträchtigungen für den Mandanten zu keinem Zeitpunkt von der Polizei, der Staatsanwaltschaft oder dem für die Wohnungsdurchsuchung zuständigen Ermittlungsrichter eine Entschuldigung erfolgte. Staatsanwaltschaft und Ermittlungsrichter hatten sich überdies blind auf die Richtigkeit der zentralen Rufnummerndatei verlassen und nicht einmal den Versuch der selbständigen Überprüfung unternommen.

Sexuelle Nötigung ist ein schwerer Tatvorwurf und für den Mandanten in einem anderen Fall standen eine Gefängnisstrafe ohne Bewährung und auch eine Ausweisung im Raum als er zu mir kam und mitteilte, dass er unschuldig sei. Die Zeugenaussagen waren aber ebenso eindeutig und identifizierten den Mandanten namentlich als Kollegen.

Nur konnte der Mandant mir einen Arbeitsvertrag zur gleichen Zeit bei einem anderen Arbeitgeber vorlegen. Nur gebrochen Deutsch sprechend war er zuvor noch bei der Polizei gewesen und hatte dort den Eindruck eines notorisch Uneinsichtigen hinterlassen. Wir bekamen dann aber heraus, dass er einen Landsmann bei sich hatte übernachten lassen. Irgendwann hatte dieser seine Aufenthaltspapiere kopiert und so selbst eine Arbeit unter der falschen Identität meines Mandanten angetreten.

Ich trug dies bei Gericht vor und legte Fotos bei, beantragte Nachermittlungen und fand kein Gehör. Zur Verhandlung gelang es den wahren Täter mit ins Gericht zu nehmen, wo er nun auch noch mit Verspätung eintraf. Da ich in den Gerichtssaal musste, aber den wahren Täter nicht mit dem Opfer und deren wütenden Freund allein sein lassen wollte, sprach ich ein paar mir bekannte Justizwachtmeister an und bat sie vor dem Saal aufzupassen. Hier war mir meine Bekanntheit am Gericht zugutegekommen. In der Verhandlung wurde alles wieder mündlich vorgetragen und das Gericht und die Staatsanwaltschaft ließen ihren Unglauben klar erkennen. Dann kam die Geschädigte in den Saal und wurde befragt, ob sie den im Saal sitzenden Angeklagten kennen würde. Hier hatte ich schon Sorge, dass für sie vielleicht nur die Hautfarbe entscheidend sein würde, aber sie antwortete, dass sie ihn nicht kennen würde und der Täter wäre doch vor dem Gerichtssaal. Jetzt waren auch Staatsanwaltschaft und Gericht überzeugt und der Freispruch kam nun recht zügig.

„Als Sie zu mir kamen, habe ich Ihnen die Geschichte nicht abgenommen.“, sagte mir die Richterin nach der Verhandlung. Ich sagte ihr nicht, dass ich ihr das damals schon am Gesicht angesehen hatte.